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Reichtum schützt vor Rute nicht - oder?

  • David Hinder
  • 17. Dez. 2019
  • 4 Min. Lesezeit

Schon der kleine Herr Maschermann sollte früh sein Talent als knallharter Kapitalist unter Beweis stellen. Das Zimmermädchen seiner Villa entließ er, als er gerade mal sechs war. Mit 12 kürzte er dem Koch den Lohn und mit 18 hatte er sein ganzes Hauspersonal durch Ein-Euro-Jobber der Arge ersetzt und so seine Lebenshaltungskosten perfekt optimiert. Beklagte sich einer der Angestellten über den niedrigen Lohn, rümpfte der junge Herr Maschermann nur angewiedert die Nase und erklärte, er habe es ja auch geschafft, seine Kosten zu verringern und das sei wahrlich nicht einfach gewesen! Der Ein-Euro-Angestellte solle in seinem Heim doch endlich einmal günstigeres Hauspersonal anstellen.

Natürlich gründete Herr Maschermann auch ein eigenes Unternehmen. Dies hatte er – abgesehen von den paar Millionen Euro, die seine Väter Ackermann und Maschmeyer ihm netterweise überlassen hatten – ganz aus dem Nichts aufgebaut.

Alles lief gut für Herrn Maschermann, obwohl er schon fand, dass die Arbeiter in seiner indischen Fabrik für die 50 Cent, die sie am Tag verdienten, schon ein wenig schneller die giftigen Chemikalien für Textilfarbe zusammenrühren konnten, aber sogar ein Herr Maschermann wusste, dass er nicht alles haben konnte. Und so war er 364 Tage im Jahr reich, noch reicher und stinkreich, was für ihn das Äquivalent von Glück war. Aber einen Tag im Jahr hasste Herr Maschermann.

Es war der 24. Dezember...

Wie jedes Jahr saß Herr Maschermann mit einem Glas Rotwein im Wohnbereich seines gut umzäunten, mit Kameras, Sicherheitskräften, Wachhunden und Kampfrobotern geschützten Anwesens und schaute durch das zweifach gespiegelte Panzerglas in seinen verschneiten Vorgarten. Aber er wusste, dass ihm all die Sicherheitsmaßnahmen nichts bringen würde...

Plötzlich rumpelte es hinter ihm im Kamin und es ertönte ein Grunzen, dann schien jemand seine Kleidung abzuklopfen. Herr Maschermann wartete noch einige Sekunden, dann setzte er ein freudloses Lächeln auf und drehte sich um. „Herr Claus,“ begrüßte er den Weihnachtsmann tonlos. „Herr Maschermann,“ gab dieser ebanso tonlos zurück. Sein roter Mantel hatte nicht einen Fleck, obwohl er gerade durch den Kamin gekommen war. „Wollen wir?“ stöhnte Herr Maschermann, beugte sich vor und streckte sein Hinterteil raus. „Ich muss gleich noch eine Videokonferenz mit unserer Fabrik in Bangladesh machen. Ich habe keine Zeit.“ Der Weihnachtsmann nickte. „Same procedure, as every year, hm?“ Herr Maschermann wackelte demonstrativ mit dem Hintern. „Legen Sie schon los! Das Personal in Bangladesh feuert sich nicht von selbst!“ Genüßlich langsam holte der Weihnachtsmann ein kleines, rotes Notizbuch aus seinem Mantel. Er blätterte ein wenig hin und her, murmelte dabei etwas, das wie „M... M... Maschermann...“ klang. Nach einer gefühlten Ewigkeit grunzte er, scheinbar erfreut, den Eintrag endlich gefunden zu haben. „Ts, ts, ts... Sie waren aber ein böser Junge, dieses Jahr. Wirklich.“ Noch langsamer als gerade eben zog der Weihnachtsmann die Rute unter dem Mantel hervor und schwang sie probeweise ein, zwei mal durch die Luft. Das Stück Holz machte ein scharfes, pfeifendes Geräusch. Herr Maschermann wartete noch immer, die Knie gebeugt, den Hintern heraus gestreckt. „Nun beeilen Sie sich doch!“ murrte er und schob dem Weihnachtsmann sein Hinterteil demonstrativ entgegen. „Jetzt seien Sie doch nicht so ein Spielverderber! Ich muss in einer Nacht fast acht Milliarden Menschen entweder beschenken oder bestrafen. Gönnen Sie mir doch ein wenig Spaß in all dem Stress. Vor allem, seit wir an die Börse gegangen sind! Fälle wie ihren hat früher die Abteilung Weihnachtsgeister übernommen.“ Bei dem Wort „Börse“ horchte Herr Maschermann auf. Statt darauf einzugehen betrieb er weiter Smalltalk mit dem dicken roten Mann, der ihm gleich den Arsch versohlen sollte. „Abteilung Weihnachtsgeister? Wieso sind die nicht mehr zuständig? Ich sehe seit Jahrzehnten immer nur Sie durch meinen Kamin klettern.“ „Die streiken.“ „Seit vierzig Jahren?“ „Sie würden sich wundern, wie lange unsterbliche Geister so einen Streik aushalten. Der Erfolg mit diesem Scruge hat sie übermütig werden lassen... Aber weiter im Text. Ich habe hier Ihre Liste an Untaten dieses Jahr. Normalerweise bekämen Sie für jede Untat einen Hieb mit der Rute, aber die Kommission für pädagogische Rutenawareness hat leider eine Obergrenze von zehn Hieben festgelegt.“ „Weil das sonst gegen meine Menschenwürde verstieße?“ „Nein, weil die Rute sonst kaputt geht. Wir kaufen jetzt billigere Modelle. Wegen der Quartalsbilanz.“ „Das gefällt mir besser, als das mit der Würde.“ lobte Herr Maschermann. Und da sauste schon der erste Hieb auf seinen Hintern nieder! „Autsch“ „Das war für die Massenentlassungen in Rumänien!“ Ein zweiter Hieb folgte. „Für die gefährlichen Chemikalien in Indien.“ Hieb Nummer drei. „Für das überteuerte Krebsmedikament im Kongo.“ Und so ging es weiter. Mit jedem Hieb zählte der Weihnachtsmann eine weitere Gräueltat auf, für die Herr Maschermann verantwortlich war. Dieser ertrug die Hiebe recht gelassen. Er war das ja schon gewöhnt. Als der zehnte Hieb vorüber war, rieb sich Herr Maschermann das schmerzende Gesäß und fragte: „Wie viele wären es ohne die neue Regel der Rutenkommission gewesen?“ „17256,“ antwortete der Weihnachtsmann. „Na gut. Dann bis nächstes Jahr. Aber stellen Sie sich darauf ein, dass es womöglich kein nächstes Jahr geben wird.“ „Warum?“ fragte der Weihnachtsmann verdutzt. „Ach, nichts.“

Der Weihnachtsmann verließ Maschermanns Anwesen durch den Kamin, genauso wie er auch gekommen war. Herr Maschermann hingegen setzte sich an seinen Laptop. Statt dem Online-Meeting mit Bangladesh rief er sein Aktienprogramm auf. Auf dem Bildschirm stand „Weihnachtsmann GmbH und Co. KG.“ Herr Maschermann klickte auf „kaufen.“

 
 
 

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