Rechtskräftemangel
- David Hinder
- 2. März 2020
- 3 Min. Lesezeit
Es ist noch nicht lange her, da traf ich zwei Nazis an einer Ampel stehend. Die beiden jungen Männer verrieten sich durch ihr nicht vorhandenes Haupthaar, sowie das Tragen einschlägig bekannter Markenklamotten, die dermaßen hässlich waren, dass normale Menschen sie auch dann nicht tragen würden, wenn man sie nicht unter dem Label „AdolfHitlerFanclub“ ablegen könnte. „Karl Marx war schwul!“ brüllte der Größere, als er mich erblickte, während der Kleinere zornig die Faust in den Himmel reckte. Der Ausruf hatte seine Ursache in meinem knallroten Pullover, der vom Gesicht des alternden Antikapitalistenurvaters geziert wurde. Unter dem bärtigen Konterfei steht bis heute „This is not Santa.“ Ich überlegte kurz, was ich auf diese Feststellung erwidern sollte. Immerhin könnte ich den beiden Angehörigen einer abgestorbenen Haarwurzelbewegung erklären, dass Homosexualität kein Vorwurf und schon gar keine Beleidigung sein kann, allerdings entschied ich mich dafür, etwas zu antworten, was die beiden rückständigen Rüpel eher verstehen würden. Ich rief ihnen zu: „Die Innenseite eurer Schädel ist genauso schlecht bewachsen, wie die Außenseite!“ Ich konnte es mir leisten, mutig zu sein. Ich saß auf einem Fahrrad. Die selbsternannten Angehörigen einer fiktiven Herrenrasse rannten mir noch einen Moment hinterher, mussten dann aber wegen asthmatischem Husten vor meinem zweirädrigen, körperenergiebetriebenen Silberpfeil kapitulieren. Mit Kapitulation kennen Nazis sich ja aus. Vor zwei Jahren, es war einer dieser Hitzesommer, also ein normaler Klimawandelsommer halt, wurde ich auf dem Heimweg unfreiwillig Zeuge einer beginnenden Nazidemo. Während ich den 35 Grad durch ein T-Shirt Rechnung trug, beklagte sich ein vorbeilaufender Hakenkreuzfan über die unerträgliche Hitze. Auf die Idee, seine hässliche graue Polyesterjacke auszuziehen kam er indessen nicht. Auf einer Bühne erklärte ein Glatzkopf mit Mikrofon, die Kameraden mögen doch bitte auf antisemitische Ausrufe verzichten, um der Polizei keinen Grund zum Einschreiten zu geben. Zehn Minuten später löste sich das ohnehin klägliche Grüppchen wegen Hitze auf. Die großen Arier mussten vor der Sonne kapitulieren. Kürzlich las ich von einem Neonazi, der bei dem Versuch, ein Flüchtlingsheim anzuzünden, sich selbst in Brand gesteckt hat. Zuerst dachte ich: „Ah ja, der Menschenhass ist inzwischen also so groß, dass ihr vor euch selbst nicht mal mehr Halt macht.“
Aber die Ansammlung des Nazi-Versagens, die ich hier bereits aufgezählt habe, lässt nur einen Schluss zu: Der Fachkräftemangel hat die rechtsradikale Szene erreicht. Denken wir das noch einmal durch: - Herrenmenschen, die ein Fahrrad nicht einholen können - Rechte Fanatiker, die ein paar Grad Sommer nicht ertragen - Hirnrasierte, die nicht einmal mehr die rechtsradikale Kernkompetenz des Zündelns meistern Ja, die Anzeichen sind eindeutig! Menschen mit Kompetenz und Hirn wollen nicht Nazi werden. Und wie begegnet man Fachkräftemangel am besten? Durch Migration. Nazis. Sie machen es einem leicht, sich über sie lustig zu machen, nicht wahr? Also, so lange sie nicht mit dem Baseballschläger vor dir stehen. Denn das ist – bei aller Häme – die bittere Wahrheit über diese Leute. Ja, ein Nazi hat sich bei dem Versuch, ein Flüchtlingsheim in Brand zu stecken, selbst angezündet. Aber allein im Jahr 2018 gab es 173 Anschläge auf Flüchtlingsheime. 2017 waren es sogar 312. 500 Rechtsterroristen gelten als abgetaucht und bauen im Untergrund Nagelbomben und Schlimmeres. Zur gleichen Zeit stellen Leute wie Alice Weidel oder Jörg Meuthen bei ihren Handys einfach den Bildfilter „bürgerlich“ ein. Nur Bernd Höcke nicht. Sein Handy ist nämlich kaputt. Es war eine Sonderanfertigung von Heckler und Koch. Aber einige fallen darauf rein. Es ist erschreckend, aber für manche scheint es zu genügen, dass jemand einen Anzug oder einen Blazer trägt und schon bekommt diese Person das Label „bügerlich.“ Die Brandstifter und Nagelbombenbauer sind die nützlichen Idioten. Die Demagogen im Nadelstreifen sind die Antreiber, Köpfe und Drahtzieher. Die einen zünden Häuser an, die anderen ganze Gesellschaften. Und wir müssen uns schon die Frage stellen, wie es sein kann, dass eine Partei wie die AfD 15 Prozent hat und Teile der „bürgerlichen“ Milieus assimilieren konnte. Könnte das was mit der DDR-Fantasie des antifaschistischen Staates zu tun haben, die eine Entnazifizierung nicht nötig gemacht haben soll? Könnte es mit der westdeutschen Tradition zu tun haben, Schäden an Autos dramatischer einzuschätzen, als Schäden an Menschen? Könnte es was mit der Agenda 2010 und daraus resultierender Armut zu tun haben? Könnte es was mit überbordendem Neoliberalismus zu tun haben, der einerseits Grundlagen für gesellschaftlichen Aufstieg zerstört, andererseits predigt, dass jeder seines Glückes Schmied sei? Ich weiß es nicht.
Aber ich weiß zwei Dinge:
1. Man muss sich Rechtsradikalismus entgegen stellen.
2. Man muss lernen, wie es dazu kommen konnte, dass in einem Land, das vor nicht mal einem Jahrhundert noch eine Naziterrorherrschaft mit schrecklichen Vernichtungslagern hatte, heute wieder etwa ein Sechstel der Bevölkerung die Gefahr einer Wiederkehr dieser Katastrophe billigend in Kauf nimmt. Wir müssen das einfach rausfinden. Damit sowas nie wieder auf fruchtbare Erde fällt.
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