Über-heblich-Mensch
- David Hinder
- 21. Sept. 2019
- 3 Min. Lesezeit
„Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch – ein Seil über einem Abgrunde.“ - Friedrich Nietzsche Tja, und während unsere Spezies über diesem Abgrund tänzelt, hat sie selbst das Messer in der Hand, um das Seil zu durchtrennen. Ich weiß nicht, ob dieser Gedanke so neu ist. Zu Nietzsche haben sich schon zigtausend Leute zigtausend Dinge überlegt. Aber ich war zu faul zum googlen, also müssen wir jetzt womöglich mit einem alten Gedanken arbeiten. Was Nietzsche sicherlich nicht ahnen konnte, war, dass dieser Abgrund eben nicht nur irgendeine ominöse, von außen kommende Naturkraft sein kann, sondern auch vom Menschen gebändigte Naturkraft. Am 06. August 1945 bewies der Mensch, dass er die Kraft der Atome so bändigen konnte, dass er seinesgleichen in nie gekannter Weise vernichtete. Während des kalten Krieges drohte das Seil zum Übermenschen jederzeit von einem Messer, dessen Klinge atomares Glühen spiegelte, durchtrennt zu werden. Der Sturz in den Abgrund schien nie so nahe. Und nein, die Gefahr ist nicht gebannt, denn auch heute noch gibt es ca. 14.000 Atomsprengköpfe auf der Welt. 100 davon genügen, um unseren Lebensraum zu vernichten. Aber immerhin: wir Menschen hätten uns selbst ausgelöscht. Es wäre menschliche Wissenschaft mit menschlicher Technologie und menschlicher Ingenieurskunst gewesen. Im Antlitz der Atompilzes hätte der Mensch in seiner Hybris zufrieden seinem Ende entgegen geblickt, denn er hätte sich selbst ausgelöscht. Und es wäre nicht etwa eine obskure, nicht zu kontrollierende Naturkraft gewesen.
„Hallo??? Wir sind Menschen! Wir haben sogar das Atom gezähmt!“ Im Jahre 2019 allerdings wird immer deutlicher, dass es wahrscheinlich nicht das Atom sein wird, das das Seil zum Übermenschen durchtrennen wird. Das atomare Glimmen, das dass Messer spiegelte, war nur zum Teil nuklear. Denn die grüne Farbe sollte uns auch warnen. Warnen, vor der Rückkopplung der natürlichen Elementarkräfte. Während wir wie gebannt auf die Macht menschlicher Technologie starrten, berauscht von schaffender und zerstörerischer Kraft, ignorierten wir die Warnungen der Natur. Und ignorierten, dass sogar die schaffende Kraft des Menschen in zu großem Maße am Ende zerstörerisch sein wird – für uns. „Hallo??? Wir sind Menschen! Wir haben die Natur, die Welt und das Atom gezähmt! Was kann uns schon der Klimawandel?!“ sagte er, während er mit dem Messer das Seil Faser um Faser durchtrennte.
Die Atombombe hätte das Seil mit einem Schlag durchschnitten Aber dass es Faser um Faser geschehen würde, damit konnte doch wirklich niemand rechnen. Naja, abgesehen von der Wissenschaft. Aber was interessiert den Menschen schon diese Schwarzmalerei, wo er doch weiß, dass er als das fantastischste Wesen im Multiversum bestenfalls in der Lage ist, sich selbst zu zerstören – und zwar mit seinen eigenen Waffen.
Selbst jetzt, wo langsam ein paar Menschen sehen, wie die Klinge das Seil schneidet, ist der Glaube in menschliche Überlegenheit ungebrochen. Man sucht sein Heil eher in Technologien, die es bisher nur als Formeln an Tafeln technischer Universitäten gibt und glaubt nicht, dass es nötig sein wird, etwas am Verhalten des Menschen zu ändern. „Hallo??? Ich bin der Mensch! Ich habe das Atom gezähmt! Ich zähme auch den Klimawandel!“ ruft er zuversichtlich und merkt nicht, wie das Seil nur noch an einer Faser hängt. Auf dieser Faser steht „Kipppunkt.“ Fallen diese Kipppunkte, gibt es kein zurück mehr. Dann hat der Mensch endgültig jede Kontrolle über seinen Lebensraum verloren. Ob nun hundert Atombomben, oder eine Klimaerwärmung von mehr als zwei Grad: die Szenarien sind ähnlich. Sie enden bestenfalls in Leid für wenige Überlebende. Schlechtestenfalls wird der Mensch nie Nietzsches heiß geliebten Übermenschen erreichen. Aber das „Nie“ steckt dem Mann ja schon im Namen... „Aber ich bin der Mensch! Ich habe das Atom gezähmt!“ brüllt er zornig und spuckt in den Abgrund. Wie gut wir es gezähmt haben, sehen wir in Tschernobyl. Und in Fukushima. Beide Katastrophen hatten ihre Ursache in menschlicher Arroganz. Wir sind sicher noch kein Übermensch. Aber ganz sicher sind wir ein Überheblichmensch. Soll es nun diese Arroganz sein, die das Seil zerschneidet und uns in den Abgrund stürzt?
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