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Traurig, aber wahr

  • David Hinder
  • 5. Aug. 2018
  • 5 Min. Lesezeit

Heute Nachmittag hat die Medienseite Jung & Naiv einen Spendenaufruf bei Facebook gestartet, um die Seenotrettung im Mittelmeer zu unterstützen. Ich stolperte zufällig darüber, als ich meinen Newsfeed durchscrollte. Der Post von Jung & Naiv war noch ganz frisch, gerade erst hochgeladen. Nach dem Lesen und Teilen warf ich einen Blick in die Kommentarspalten, um dort zu sehen, wie die Gegner der Seenotrettung bereits mobil gemacht hatten: Begriffe wie „Schlepperindustrie“ und „Anreizsystem“ fielen, ebenso wie Verschwörungstheorien, dass irgendeine ominöse Kraft die Geflüchteten herholen würde. Ich hatte schon vorher in Stellen im Netz solcherlei antihumanistischen Kommentare gesehen. Ich vermutete schon lange, dass es sich dabei zum großen Teil um koordinierte Troll-Aktionen handelt und die Dokumentation mit dem Titel „Lösch dich“ von Rayk Anders bestätigte diese Vermutung nur. Was ich bisher nicht live erleben „durfte“ war die Geschwindigkeit, mit der diese „Infokrieger“ die Kommentarspalten besetzen. Innerhalb von Minuten waren diverse Kommentare mit ähnlichem Tenor da, „Schlepperindustrie“, „Anreize schaffen“, „Sollen wir etwa alle aufnehmen?“ und noch ein paar Schlagworte mehr.

Schlagworte. Das ist ein wichtiges Stichwort. Die meisten dieser Trolle verzichten nämlich auf ausgiebige Argumentationsketten, sondern werfen statt dessen ein paar Behauptungen in den Ring. Formuliert, als handle es sich um allgemeingültige Wahrheiten. Die schriftlich-rhetorisch etwas versierteren wagen sich an höhnische Vergleiche, um dem Poster seine scheinbare Dummheit vor Augen zu führen. Sollte sich eine Gegenstimme erheben, wird sie entweder niedergebrüllt, oder man versucht, mit mäßig geschickten Techniken zur Gesprächslenkung das Gegenüber auf einen Pfad zu locken, in welchem man es mit den eigenen Argumenten – derer sind ja nicht allzu viele vorhanden – leichter niederringen kann. Wobei niederringen hier bedeutet, dass der Kritiker einfach irgendwann genervt aufgibt, weil die achte Wiederholung des Diskurs-Kreisverkehrs nur noch mühsam ist. Immerhin hat man auch noch ein echtes Leben und andere Dinge zu tun und natürlich ist einem klar, dass der zwar dumm wirkende, aber leider nicht wirklich dumme Troll ganz bewusst große Teile des eigenen Argumentationsstrangs übergeht. Sieg durch Nervigkeit. Und Provokation. Dazu hat man die Emotikons. Die verschiedenen Smileys, die man bei FB inzwischen statt des einfachen „Daumen hoch“ benutzen kann, werden genutzt, um Kommentatoren zu verunsichern und aus der Reserve zu locken. Der lachende Smiley hat dadurch inzwischen oft seine Funktion als einfaches „Ich habe gelacht“-Bekenntnis verloren und steht nun nur noch für Häme. Besonders absurd wird das bei längeren Argumentationsketten. Mit dem lachenden Smiley will der Troll anzeigen, dass er das Weltbild des Kommentators nicht teilt, dass er sich zu gut ist für das Verfassen eines Gegenarguments – und zeigt damit gleichzeitig an, dass er dazu auch gar nicht in der Lage wäre. Neu ist das wahrhaftig alles nicht. Wer mal mit einer marxistischen Position unter dem Handelsblatt diskutiert hat, der weiß, dass dieses auf falscher Überlegenheit – Überlegenheit, wie sie nur unreflektierte Narrative oder die nie hinterfragte Moral der Eltern verleihen – fußende taktische getrolle überaus üblich ist – jedoch sind die Dimensionen mit Aufkommen der rechten Infokrieger andere geworden. Denn die immergleichen hyperliberalen Wirtschaftsextremisten bleiben weitestgehend in ihren Ecken. Der rechte Troll hakt überall da ein, wo er nur eine entfernte Chance wittert, die Debatte auf sein Thema zu lenken. Ein Bericht über sozialen Wohnungsbau? Irgendwo schreibt einer von Flüchtlingen, die uns die Wohnungen weg nehmen. Arbeitslosenzahlen? Wieso arbeiten eigentlich die bösen Flüchtlinge nicht? Rente? Arme Rentner müssen Flaschen sammeln, während Flüchtlinge alles geschenkt kriegen! Frechheit! Schön, so eine moralische Empörung. Und so einfach. Leider ist es wirksam, die mehrheitlich in Deutschland eben nicht gut gebildeten Menschen mit solchem Stammtischniveau zu beeindrucken. Und bevor man mir an dieser Stelle des Textes nun versucht, einen Strick daraus zu drehen: ich halte die Menschen mehrheitlich nicht für dumm, nur für ungebildet. Und dafür können sie noch nicht mal was, denn unser Bildungssystem hat vor allem den Zweck, Menschen auf spätere Karrieren vorzubereiten. Kellner, Klempner, Krankenpfleger brauchen für ihre Jobs nur bedingt die Reflexionsfähigkeit, die man benötigt, um komplexere Zusammenhänge zu verstehen. Das Bildungssystem braucht sie diesen Menschen daher auch nicht zu vermitteln. Das ist traurig, aber wahr. Zumal jeder Mensch die Fähigkeit zur Reflexion besitzt – nur ist es eben wie mit allen anderen Talenten und Fähigkeiten auch – einsetzen kann man sie nur mit Übung. Und so haben wir am Ende viele Menschen, die einfache Zusammenhänge und Monokausalität oftmals für „die Wahrheit“ halten. Genau das machen sich Trolle zu Nutze. Es ist die einfachste, älteste Manipulationsstrategie. Gefühle ansprechen, Fakten vermeiden und jene erreichen, die dafür empfänglich sind. Und das sind leider viele. Ein Faktor hat sich allerdings verändert: das Internet wirkt wie ein Kaskadeneffekt, ein Exponent hoch x über den man unzählige Menschen erreichen kann. Und leider funktioniert es. Der aktuelle Umfragestand der AfD ist sicher auch auf die Arbeit der „Infokrieger“ zurückzuführen. Traurig, aber wahr. Und das Schlimmste: man versucht, Menschenrechte verhandelbar zu machen. Nicht, dass ich der Illusion erliegen würde, dass mächtige Akteure in Politik und Wirtschaft sich um Menschenrechte scherten – wie sonst würde es zu erklären sein, dass Nestle Menschen das Trinkwasser abpumpen darf, oder mit Austeritätspolitik Menschen im wahrsten Sinne in den Tod getrieben werden? - aber das bedeutet nicht, dass man wie diese Mächtigen Menschenrechte auf dem Verhandlungstisch persönlichen Interessen opfern darf. Nur, weil ein paar Leute mit zu viel Macht das machen, soll man es an anderer Stelle nun imitieren? Eher sollte man doch hinterfragen, wie es möglich ist, dass eigentlich Unverhandelbares verhandelbar wird, sobald genug Geld und Macht im Spiel sind. In einer Hinsicht haben die Trolle auch bei mir gewonnen. Habe ich früher geduldig und sachlich kommentiert, bin ich früher auf die Aussagen und Argumente meines virtuellen Gegenübers eingegangen, so reagiere ich heute bei den immergleichen, immerfalschen Aussagen nur noch sarkastisch, ironisch, manchmal patzig, manchmal schreibe ich sogar Spottgedichte. Ich gebe zu, dass ich mir manchmal wirklich auf die Tastaturfinger beißen muss, um nicht wirklich bissig zu werden. Und das hat auch Auswirkungen auf meine Diskussionskultur im Real Life. Wann immer ich das anithumanistische, zynische, pseudo-differenzierte Gerede im Stammtischduktus höre, verliere ich nach drei, vier ruhigen, erklärenden Ansätzen die Geduld. Zu meiner Verteidigung könnte ich jetzt sagen, dass diese Leute oftmals keine Argument zu Ende anhören, immer direkt „Ja aber...!“ schreien, manchmal versuchen, mit rhetorischen Fragen durch das Gespräch zu steuern und dass es da ja verständlich sei, dass man die Geduld verliere. Wahrscheinlich ist es sogar verständlich. Aber eigentlich will ich das gar nicht. Eigentlich will ich durch das richtige Argument und nicht die lauteste Stimme überzeugen. Und daher ist das auch – ganz im Sinne der bereits erwähnten Selbstreflexion – ein reflexiver Text, eine Ermahnung an mich selbst, mich nicht mehr auf das Niveau der Trolle zu begeben. Wobei... ein wenig Sarkasmus muss manchmal schon drin sein.

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