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Verkehrswende

  • David Hinder
  • 16. Mai 2019
  • 3 Min. Lesezeit

Ein lauter Knall, dann ein Knirschen von nachgebendem Blech, dann wird der Geländewagen wie eine Feder über die Straße geschoben. Verwirrt blickt der Fahrer sich um, bis seine Augen den Verursacher finden. In der linken Flanke des Wagens steckt ein Rammschub, der vor dem Vorderrad eines zweirädrigen Gefährts angebracht ist. Das schwer gepanzerte 20-Tonnen-Fahrrad hatte den Geländewagen erwischt, weil es einfach über Rot gefahren war. Hämisch lachend tritt der Fahrer in seiner schwarzen Lederkluft erneut in die Pedale und das Fahrrad schiebt so den unterlegenen Geländewagen weiter vorwärts, bis dieser den Weg des Rades nicht mehr blockiert. Dann spuckt der Radfahrer auf die Kühlerhaube und setzt seinen Weg auf seiner fahrenden Todesmaschine fort. Sein irres Lachen ist noch aus der Ferne zu hören. Der Beitrag des heute-journal ist vorbei, und der Sender schaltet um zu der sorgenvollen Mine des Moderators, was aber nichts zu heißen hat, denn seine Mine ist immer sorgenvoll. Sie wäre wahrscheinlich sogar sorgenvoll, wenn er den Weltfrieden verlesen dürfte. In seinem getragenem Duktus beginnt er, das Thema weiter zu moderieren: „In Deutschland beherrschen Rad-Rowdys die Straßen. Mit ihren stark gepanzerten Vehikeln fahren diese Kommunistennazirocker, die alle zudem noch albanischen Menschenhändlerclans angehören, vom Gesetz völlig unbehelligt über die Straßen und zerstören dabei in wilder Beliebigkeit jedes Auto, das ihnen in den Weg kommt. Manche dieser Radrowdys ermorden sogar Passanten, und zwar nicht nur, wenn diese den tonnenschweren Gefährten unbedacht den Radweg verstellen, sondern oftmals auch mittels auf der Lenkstange angebrachten Maschinengewehren. Um diese in unvorsichtige Menschenmengen abzufeuern, reißt der Kommunistennazi seinen Lenker einfach bei Tempo 200 plötzlich herum und drückt dann den Abzug, während sein Gefährt mit quietschenden Reifen seitlich über den Boden slidet. Dies nennen sie Drive Bike.“ Ein weiterer Beitrag wird eingeblendet. Ein ängstlich wirkender Mann mit Puschelmikrofon erklärt, dass er vor dem Reichstag stehe und sich die Lage zuspitze. „Heute haben 50000 radfahrende Kommunistennazirockerclanmitglieder vor dem Reichstag gegen die geplante Nummernschildpflicht für Fahrräder protestiert. Viele der Zweiradpanzer sind bewaffnet und richten ihre auf den Gepäckträgern angebrachten Granatwerfer nach eigenen Angaben nur zufällig auf das Kanzleramt. Experten der Bundesregierung gehen davon aus, dass das Gesetz abgelehnt werden wird.“

Die Schaltung wechselt zurück zum Moderator: „Und als wäre das nicht genug, rast auch schon die neue Gefahr auf die deutschen Straßen zu. Elektroroller fahren mit zwölffacher Schallgeschwindigkeit auf Gehwegen und sind deshalb immer erst zu hören, wenn der langsamere Schall den Passanten erreicht. Aber dieser hört dann wahrscheinlich gar nichts mehr, denn die Reifen mit 5 Metern Durchmessern, bespickt mit scharfen Spikes, haben dem Passanten dann schon lange den Garaus gemacht.“ Auf dem Bildschirm im Hintergrund erscheint das Bild eines E-Rollers, der mittels seiner Traktorenreifen ein rechts abbiegends Auto platt walzt. Der Moderator spricht weiter: „Hollywood hat bereits angekündigt, die Thematik aufzugreifen. So soll der 28. Teil der Reihe „The Fast and the Furious“ vor allem mit E-Rollern gedreht werden. Vin Diesel hat die Verträge bereits unterschrieben.“ Wieder wechselt das Hintergundbild, weg von einem grinsenden Vin Diesel auf einem E-Roller, hin zu einem Baby in Rockerkluft auf einem BobbyCar. „Bereits die Kinder der volltätowierten Fahrradrowdykommunistennazirockerclanmitglieder werden auf den Geschwindigkeitsrausch trainiert. Dieses Kind überfuhr mehrere Kleintiere, Kinder und Rentner mit seinem mit Hartplastik gepanzerten Gefährt. Wegen Fahrerflucht wurde die Fahndung bereits ausgeschrieben. Die Polizei bittet nicht um Mithilfe, weil sie Angst hat, sonst von den Eltern des Kindes einen Besuch für ein Drive Bike zu bekommen. Der Wecker piept energisch. Schreiend und mit dicken Schweißperlen auf der Stirn erwacht Verkehrsminister Andy Scheuer in seinem Schlafzimmer. Noch immer sieht er volltätowierte, in Lederkluft gehüllte Rad-Rowdy-Kommunistennazigangster, die mit Maschinengewehren und Panzerfahrrädern Deutschlands Straßen unbefahrbar machen vor seinem geistigen Auge. Zur Beruhigung nimmt er einen Schluck aus der Flasche mit Haargel, die immer an seinem Bett steht und stellt danach den Wecker aus. Dann steht er auf, macht sich für seinen Arbeitstag im Bundestag fertig, immer noch ängstlich, dass er plötzlich von einer Horde Granaten werfender Fahrräder umringt sein könnte. Immer noch verwirrt von dem Traum (aber Verwirrung ist für CSU-Politiker ja recht normal) greift nach dem Autoschlüssel seiner geliebten schwarzen Limousine, die Audi ihm netterweise geschenkt hatte. Er verlässt das Haus und öffnet die Garage. Langsam fährt das Tor hoch, doch was Andy dort sieht bläst ihm vor Schreck das Haargel aus der Frisur! Dort, wo sein Auto stehen sollte, steht nur ein Fahrrad! „NEEEEEEIIIIIIIINNNNNN!“ brüllt Andy und reckt die Faust in den Himmel. Seine Unterarme sind auf einmal voll tätowiert und er trägt eine Lederkluft, statt seines Anzuges. Panik steigt in ihm auf, er bricht mit Atemnot zusammen.... … und da klingelt der Wecker erneut.

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