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Wer ist der bessere Tierschützer?

  • David Hinder
  • 17. Mai 2019
  • 3 Min. Lesezeit

Es ist Sonntagnachmittag und ich sitze wie immer bei meiner Mutter. Zusammen mit meiner Schwester, unserer Katzenmenagerie, sowie der Bulldogge Erna schauen wir eine Sendung, in welcher Haustiere vermittelt werden. Ein Katzenschutzverein ist als erstes dran. Eine etwas korpulente Frau, die Ähnlichkeit mit einem Relaxo-Pokemon hat, stellt uns den Kater Mika vor. Wichtig sei: Mika bräuchte unbedingt eine große Wohnung und Freigang. Kleine Nebeninfo: Mika ist blind. Als nächstes wird Svenja vorgestellt. Die Katze ist offensichtlich versehrt, denn ihr fehlen die Ohren. „Die hat sie in einem Straßenkampf mit anderen Katzen verloren,“ meint Relaxo und führt aus, dass auch Svenja eine riesige Wohnung bräuchte. Und Freigang. Kater Karlo ist der Nächste. Der rote Tigerkater fällt besonders dadurch auf, dass ihm ein Vorderbein fehlt. Natürlich soll auch Karlo seinen Freigang haben, oder wenigstens einen großen Garten. In meinen Gedanken sehe ich bereits die nächste Katze im Studio sitzen, die beinlose Barbara, die aber auch ganz toll ohne Beine mit ihrer Umgebung zurecht kommt und natürlich dringend Freigang braucht. „Es ist gar kein Problem,“ meint Relaxo. „Barbara robbt einfach auf ihren Bauchmuskeln vorwärts, wie eine Schlange.“ Ich sehe die fiktive Katze schon über die die B1 robben, eine Maus verfolgend, die Slalom zwischen den Reifen fahrender Autos läuft. Der größte Störfaktor im Tierschutz ist der Mensch. Und manchmal eben auch Menschen, die sich selbst dem Tierschutz verschrieben haben. Du triffst ständig auf Leute, die in ihrem Ziel, nur das Beste für die Tiere zu wollen, eine Ebene der moralischen Selbstüberhöhung gefunden haben, die sogar Jesus am Kreuze vor Neid erblassen ließe. Und das ist gar nicht so einfach, unter der prallen Sonne. Dabei geht es nicht wirklich um das Tierwohl, sondern um einen Beweis: den Beweis, dass man selbst die edelsten und feinsten moralischen Ansprüche habe. Und dass man niemals für diese Kompromisse eingeht. Meine Schwester und ich müssen es wissen. Wir haben selbst einen Tierschutzverein gegründet. Einen Kater hatten wir übergangsweise bei einem befreundeten Verein einquartiert, bis wir ein passendes Zuhause gefunden hätten. Und dieses Zuhause war bitter nötig, denn der Kleine kam überhaupt nicht klar in dem Katzenhaus mit zwanzig anderen Tieren, die auch noch ständig wechselten. Schwer traumatisiert saß er nur in seiner Ecke, ganz hinten in der Kratzbaumhöhle. An eine Vermittlung an die Besucher des Katzenhauses war so beim besten Willen nicht zu denken. Drum könnt ihr euch vorstellen, wie froh wir waren, als wir ein Zuhause gefunden hatten. Eine junge Frau mit großem Herzen, die schon einen Kater hatte. Ja, die Wohnung war etwas klein, und nein, er würde mitten in der Dortmunder Innenstadt keinen Freigang bekommen – aber was soll's? Die Katzen, die wir einsammeln, können sowieso nicht auf der Straße überleben. Sonst würden wir sie nicht einsammeln. Als wir dem Katzenhaus unsere Entscheidung mitteilten, erwarteten wir Freude oder Erleichterung. Statt dessen wurde uns mitgeteilt, dass man sich selbst für fähiger hielt, ein gutes Zuhause für den Kater zu finden. Das Ende vom Lied: er sitzt heute, Wochen später, noch immer im Katzenhaus und traut sich nicht aus seiner Höhle heraus. Natürlich soll die Bude mindestens 100 qm haben, es dürfen keine Kinder da sein, eine weitere Katze wäre schön und vor allem soll das Tier eines haben: Freigang. Ich frage mich, wie viele kinderlose, katzenreiche, im Wald lebende Millionäre wir in Deutschland haben und ob es davon genug gibt, um alle herrenlose Hauskatzen aufzunehmen. Wenn ihr jemanden kennt: ich leite ihn gern weiter. Und NATÜRLICH ist es für die hart traumatisierte Katze besser, erst noch Monate, vielleicht Jahre, im Katzenhaus zu hocken, ehe sich so ein Waldkatzenmillionär ihrer erbarmt. Denn eines ist die Hauptsache: Freigang. Dafür kann man auch schon mal ein paar Traumata in Kauf nehmen. Ich erwache aus meinen Gedanken und merke, dass ich mich schon auf dem Rad und dem Heimweg befinde. Plötzlich muss ich eine Vollbremsung machen! Vor mir robbt eine beinlose Katze über die Straße und genießt ihren Freigang.

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