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Autos, Liebe und der liebe Gott

  • David Hinder
  • 18. Okt. 2017
  • 4 Min. Lesezeit

Verkopft sein birgt in unserer heutigen Gesellschaft viele Nachteile. Du denkst, wenn du handeln solltest, dein Bauchgefühl ist meist wertlos und es fällt dir schwerer, eigene Gefühlsebenen zu durchdringen. Aber zumindest einen Vorteil hat diese Verkopftheit, wenn man ihn denn einzusetzen weiß. Gestern habe ich, nach der frustrierenden Erkenntnis über meine Sexualität ein ziemlich heftiges emotionales Tief erlebt. Viele Menschen, die ich kenne, hängen nach so einem Tief erst mal durch. Die negative Gedankenschleife ist für sie kaum zu durchbrechen. Der Text dazu hier: http://terminsel.wixsite.com/reverse/single-post/2017/10/18/Neues-aus-Absurdistan

Glücklicherweise geht es mir da nicht so. Da ich das Meiste auf rationaler Ebene mit mir selbst ausmache und Gefühle ganz gut dabei aussperren kann, sind Tiefpunkte meist nur von kurzer Dauer. So auch hier. Schließlich ändert die Erkenntnis nichts an der Person, die ich nun mal bin. Dass die Möglichkeit einer Anpassung unter diesen Bedingungen nur begrenzt gegeben ist, war auch vorher schon der Fall. Unser moderner Partnermarkt basiert nun einmal auf schneller Einschätzung und Aussortierung. Das werde ich nicht ändern können. Aber Anpassung an denselben ist unter meinen Bedingungen eben auch kaum möglich. Nihilistische Tiefphasen sind irrational. Aber ebenso irrational ist überquellender Optimismus. Perfekt durchdachte negative Gedanken sind in sich meist sehr logisch – warum kommen dann so viele Menschen dabei auf die Idee, mit einfachen Phrasen zu antworten? Auch komplex ausformuliert ist eine Phrase eine Phrase. Was ich nun seit gestern viel höre und lese sind unterschiedliche Auslegungen und Varianten von „Auf jeden Topf passt ein Deckel“ und „Wenn es passt, dann passt es halt.“ Diese Phrasen, gleich wie erklärt, greifen dennoch immer zu kurz, was allerdings auch daran liegen mag, dass die Situation der Demisexualität nur schwer nachzuvollziehen sein dürfte. In der Forschung rund um Sexualität spricht man zwar oft sehr viel von sexueller Anziehung, Liebesgefühle werden aber eher stiefmütterlich behandelt, bzw., es wird sexuelle Anziehung als Voraussetzung für ebendiese betrachtet. Und wenn wir ehrlich zu uns sind, stimmt das auch. Folgerichtig kommt die primäre Anziehung, also der schnöde Blick auf äußerliche Attraktivität, zuerst. Das Kennenlernen, die sekundäre Anziehung, kommt darauf. Wir sprechen hier also von einem Bedingungssystem. Ohne A kein B. Was aber, wenn du bei B starten musst? Stellt euch vor, ihr wolltet ein Auto kaufen. Ihr geht in ein Autohaus, seht euch um und entdeckt das Objekt eurer Begierde. Ihr tretet heran, schaut es euch näher an, werft einen ersten Blick auf das Verkaufsschild mit den wichtigsten Daten - die primäre Anziehung ist getan. Dann kommt der Verkäufer und der Flirt beginnt. Er wird euch die Vorzüge des Autos nahebringen, wird sogar lügen oder die Wahrheit verdrehen oder die Foki so legen, dass sie seinen Zwecken dienen. Flirten, meine Damen und Herren, ist ein gegenseitiges Verkaufsgespräch. Wie dem auch sei, der Käufer verlässt das Autohaus am Ende mit einem neuen Wagen. Würde sich Demisexualität auf den Autokauf auswirken, so liefe das in etwa so ab: Der Demisexuelle betritt das Geschäft. Die Karren sehen alle mehr oder weniger gleich für ihn aus. Ja, auf einer verkopften Ebene sieht er sehr wohl den Unterschied, findet einige womöglich sogar schöner, als andere. Aber seine Entscheidung wird von den „inneren Werten“ der Karre abhängen. Der Verkäufer tritt auf den Plan, es findet sich ein Auto von Interesse für den Demisexuellen. Aber er ist verwirrt. Warum erklärt dieser labernde Typ nicht einfach, was die Autos können? Warum all die Phrasen, Plattitüden, Zweideutigkeiten? Warum hebt er Dinge als positiv hervor, die es gar nicht sind? Warum verstrickt er sich in Widersprüche? Ist er dumm? Sollte man sich von dummen Leuten Autos verkaufen lassen? Ohne eine Kaufentscheidung getroffen zu haben, verlässt der Demisexuelle das Autohaus. Ehe ihr dieses Gleichnis auseinander nehmt, bedenkt bitte: es ist ein Gleichnis. Die hinken immer etwas. Ein weiteres Bild: wenn der Weg zu einer Liebesbeziehung eine Brücke sei, dann besteht die erste Hälfte aus der primären Anziehung, die zweite Hälfte aus der sekundären. Schon mal versucht, eine halbe Brücke zu überqueren? Ja, selbstverständlich ist das nicht ganz so simpel. Primäre und sekundäre Anziehung vermischen sich eher, greifen ineinander. Nun ist es, beliebige religiöse Entität sei Dank, so, dass es auch Demisexualität in verschiedenen Ausprägungen gibt. Leider ist die meiste Internet-Literatur dazu sehr weiblich gefärbt, häufig fällt auch der Begriff Asexualität. So weit geht es bei mir dann doch nicht. Ich kann sehr wohl „nur“ Spaß im Bett haben, benötige dafür nicht immer die tiefe emotionale Bindung. Jedoch, die gesamte Flirtstruktur, die erst mal dahin führt ist für mich ein verschachteltes Labyrinth, undurchdringlich – so muss sich ein Host aus Westworld fühlen, wenn er gerade begreift, dass etwas nicht stimmt, es aber trotzdem nicht ganz durchdringt. Um zu meinem Ausgangspunkt zurückzukehren: geändert hat sich dennoch nichts. Ich bin die gleich Person wie zuvor. Nur bestätigt sich jetzt, was ich ohnehin schon lange angenommen hatte: die statistische Wahrscheinlichkeit auf eine langfristige Partnerschaft ist bei mir halt noch geringer – und die ist ohnehin schon niedrig. Ein Kommentar zu meinem gestrigen Text war daher sehr hilfreich, um mich meiner eigentlich Einstellung zu besinnen: wenn ich ohne Partnerin sterbe, dann ist das halt so. Und kein Grund zum depressiven Verdruss. Religiöse Entität sei dank, gibt es zwei Dinge, die das Leben trotzdem gut machen: Bier und Katzen! In diesem Sinne Prost und Miau.


 
 
 

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