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Der zwingende Zynismus

  • David Hinder
  • 21. März 2017
  • 3 Min. Lesezeit

Das Zimmer war dunkel. Nur das blaue Flimmern des Monitors tauchte den kleinen Raum in schwaches Licht, so dass die Schemen von wenigen Möbeln und einem Mann zu erkennen waren, der vor dem Monitor gebeugt in einem Sessel saß und mit leerem Blick irgendwo hin starrte. Auf dem Bildschirm flimmerte in trügerisch sanften Farben eine Flirtseite. Gesendete Nachrichten. Der Bildschirm war gefüllt damit, es waren bestimmt Dutzende. Alle geöffnet. Alle unbeantwortet. Bis auf eine. Ein liebloser Einzeiler: „Sorry, du bist nicht mein Typ.“ Immerhin. All die anderen hielten nicht mal dieses Minimum an Höflichkeit für nötig. Er wusste, dass es Typen gab, die jetzt eine der Frauen für eine Wutmail aussuchen würden, ihr Arroganz und Schlimmeres vorwerfen würde, aber das war nicht seine Art. Selbst jetzt, wo er sich zutiefst gedemütigt fühlte, würde er so etwas nicht tun. Obwohl der Verdacht in ihm aufkeimte, dass der Vorwurf der Arroganz inzwischen mehr als angebracht war. Langweilige Mails konnte man ihm nicht vorwerfen. Er war sehr kreativ. Kleine Gedichte, Geschichten, Lustiges – das Schreiben war nicht sein Problem. Genau genommen wusste er nicht, was sein Problem war. Er hatte einige Thesen – komplexe gedankliche Geflechte. Denker sein ist scheiße. Kritischer Denker noch mehr.

Eigentlich hatte er sich vom Partnermarkt komplett verabschiedet gehabt. Ihm fehlte einfach die Frustresistenz, wieder und wieder die Demütigung der Ablehnung zu erfahren. Aber vor ein paar Wochen hatte er ein paar Erlebnisse gehabt, die ihn hoffen ließen. Irgendwie – ohne eigenes Zutun – war er gleich mehrfach in Flirts verwickelt gewesen. Natürlich hatte kein Gespräch wirklich ein gutes Ende genommen, aber im Vergleich zu jahrelanger absoluter Unsichtbarkeit für das weibliche Geschlecht, war dies schon eine große Verbesserung. Eines der Gespräche, ein intensives, es ging über mehrere Stunden, endete damit, dass ein weiterer Typ dazu trat und sie ihn als ihren Freund vorstellte. Ein weiteres endete durch die Einmischung eines dominanten Machos, der hinterher natürlich mit der Frau rumknutschte. Er stand nicht auf Konflikte. Es hätte ja doch nichts gebracht.

Dennoch: so viel Interesse hatte er seit Jahren nicht vom weiblichen Geschlecht erfahren. Ein fataler Fehler, daraus Hoffnung zu schöpfen. Er hatte danach noch ein paar Versuche gestartet, die aber alle zwischen kühler Ablehnung und distanzierter Höflichkeit hängen blieben. Also, warum es nicht noch einmal online versuchen? Und jetzt saß er vor dem Rechner und realisierte, dass Hoffnung etwas Abartiges war. Und etwas hochgradig Irrationales. Seine Gedanken überschlugen sich in einer absurden Kombination aus depressiver Trägheit und verwirrend chaotischem Tempo. Er musste an seine Freunde denken, die alle nur hohle Phrasen zu dem Thema beherrschten. Natürlich alle glücklich vergeben. Aus einer anderen Ecke seines Geistes tauchte das Bild einer Frau auf, in die er mal verliebt gewesen war. Natürlich unglücklich verliebt, was sonst? Keine Beziehung, die er je geführt hatte, war aus Liebe entstanden. Dann kam ihm der Gedanke, dass er Gefühle immer nur entwickeln konnte, wenn er die Frau schon gut kannte. Das Wort „Friendzone“ zog sich wie eine schmerzhafte Narbe durch seinen Geist. Absurd, diese neumodischen Begriffe. Ein kurzes Selbstbildnis zuckte hinterher. Ihm war klar, dass er die lebende Antithese zum aktuellen männlichen Schönheitsideal war. Männliches Schönheitsideal. Der Begriff konnte nicht falscher klingen. Eigentlich brachte er all das mit, was Frauen seit Jahrzehnten angeblich von Männern forderten. Er war empathisch, hörte zu, legte Wert auf Gleichberechtigung, war höflich, geduldig und praktisch nicht oberflächlich, Klar. Auch er fand bestimmte Dinge attraktiver, als Andere. Aber er stellte das nicht als Bedingung. Selbstmord. Dieser Gedanke war plötzlich ganz klar. Erschreckend klar. Quatsch. Nachts wird weniger Serotonin ausgeschüttet. Daran liegt das. Außerdem war das keine Option. Egoistisch. Und es gab kaum etwas, was er mehr verurteilte. Welches Recht hatte er, dies seinen Mitmenschen anzutun? Wie gesagt, Denker sein ist scheiße. Nicht mal der Selbstmord kann durchdacht werden, ohne die Konsequenzen zu berücksichtigen. Er kam also zu dem Schluss, dass Selbstmord nicht in Frage kam. Ohne darauf zu achten hatte er weiter auf der Flirtseite herum geklickt und war auf dem Profil einer Frau gelandet. Sie suchte einen „Gentleman und Bad Boy“. Warum nicht gleich den Goldtopf hinter dem Regenbogen? Irritierenderweise ohne viel darüber nachzudenken löschte er sein Profil und verließ die Seite. Sollten sie ihr albernes Spiel doch ohne ihn spielen.


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