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Der Hypernerd und sein kategorischer Imperativ

  • David Hinder
  • 23. Feb. 2017
  • 3 Min. Lesezeit

Nerd sein ist nicht mehr so einfach wie früher. Längst sind viele ehemaligen Nerds-only-Produkte auch in den Händen ganz normaler Leute zu finden. Die Bürokauffrau liest in der Mittagspause „Das Lied von Eis und Feuer“, „Der Herr der Ringe“ steht in gefühlt jeder gut sortierten Filmsammlung und – noch wichtiger – auch in vielen, vielen Hausbibliotheken und vom Harry Potter-Phänomen fange ich gar nicht erst an. Der Nerd – das ist inzwischen ein dehnbarer Begriff. Bist du ein Nerd, weil du Assassins Creed spielst? Spielen Nicht-Nerds nicht ausschließlich Sportspiele? Muss man als echter Nerd nicht noch irgendein „spezielles“ Hobby haben, wie Pen & Paper Rollenspiele oder Tabletop? Die genaue Definition überlasse ich den Soziologen – oder besser noch: den Hypernerds! Denn es gibt sie auch heute noch – die Typen (mal ehrlich, es sind fast immer Typen), die du schon aus zwei Meilen Entfernung als Hypernerd ausmachen kannst – und dafür brauchst du nicht Legolas Sehkraft. Denn im Gegensatz zum „Mainstream-Nerd“ zieht sich der Hypernerd keine Hyrule-Cap oder den Adam Jensen Mantel von Musterbrand an (ja, man kann sich inzwischen nerdig kleiden, ohne gleich alle Modekonventionen zu brechen). Nein. Er trägt ein schwarzes T-Shirt. Immer. Vorzugsweise mit einem Aufdruck aus seinem Lieblingsfranchise. Aber hey, das ist mir ehrlich gesagt total wumpe. Ich selbst besitze gar keine Nerdkleidung – weder die Hyrule-Cap, noch den Musterbrand-Mantel und erst recht keine schwarzen Aufschrift-Shirts. Nein, worum es mir geht ist nicht die Mode. Für den Hypernerd ist nämlich eins klar: alle anderen sind Mainstream und haben keine Ahnung. Auch in der Geschmackswelt gibt es nur eine Wahrheit: Seine. Bei der sozialen Inkompetenz eines Dr. House kann der Hypernerd nur müde lächeln. Schon mal mit einem Star Trek Nerd über die neuen Filme geredet? Nein? Unbedingt nachholen! Und ich meine live, nicht in einem Forum oder so. Oh, und nimm doch bitte die Position des Neuauflagen-Fans ein. Du wirst schnell fest stellen: eine Diskussion kann man das nicht nennen. Hypernerd wird deine Argumente nicht mal zur Kenntnis nehmen. Mehr als ein spöttisches Schnauben und die metaphysische Gewissheit des „wahren Experten“ wirst du nicht erhalten. Hey, ich gebe aber gern zu: dieser „Spezialist“ ist mir allein von der Quantität seines Fachwissens her wirklich überlegen. So Allrounder Nerds wie ich kennen sich zwar fast überall aus, aber nirgendwo komplett. Ich kann dir wahrscheinlich genau so viel über Batman wie über Star Trek erzählen – die Details überlasse ich aber den „Experten“. Bin auch selber Schuld. Warum beschäftige ich mich in meiner Freizeit auch noch mit Nebensächlichkeiten wie Politik oder gesellschaftlicher Entwicklung, wenn ich doch den Episodenguide von DS9 auswendig lernen könnte? Wie dumm von mir! Nun hat aber speziell der Hypernerd aus unserem Beispiel ein großes Problem: er fühlt sich inzwischen obsolet. Denn die neuen Filme brachten eine neue Zeitlinie – und auch, wenn die alte Zeitlinie niemals offiziell ausgemustert wurde, wird unserem Freund doch bewusst, dass die Bedeutung seines über so viele Jahre mühsam gesammelten (und im realen Leben völlig nutzlosen) Spezialwissens im Schwinden begriffen ist. Was bleibt ihm übrig, als lautstark das Neue zu verdammen und das Alte in den Himmel zu loben? Am Rande: für den Comicfan von DC oder Marvel sind solche alternierenden Realitäten inzwischen ein unglaublich alter Hut. Alle paar Jahre wird da rebootet. Erheblich gelassener geht man dort mit dem Thema um. Unser Hypernerd indessen wird weiter versuchen, alle davon zu überzeugen, dass TOS, TNG und DS9 unerreichte Größen der Filmgeschichte seien. Ja genau: diese Serien, mit mehrheitlich unterdurchschnittlichen Schauspielern und den immer gleichen Case of the Week-Plots. Klar, das Neue hat seine Macken. Aber das alte Star Trek musste wirklich mal den Staub abgeschüttelt bekommen. Das Franchise wäre sonst in der Bedeutungslosigkeit versunken. Und wenn ich die Wahl zwischen dem Franchise und dem unnützen Wissen unseres Freundes habe, dann wähle ich sein Wissen. Und mal ehrlich: es ist wirklich nicht besonders rühmlich, dass man den Nachts um drei wecken kann mit der Aufforderung: „TNG, STAFFEL 3, EPISODE 8!“ - und er dir die aus dem FF auswendig aufsagen kann. Solche „Experten“ gibt es bei all diesen Nerdthemen. Und sie kennen alle, die EINE Wahrheit und haben alle die Sozialkompetenz eines toten Fischs. Eines lange toten Fischs. Übrigens: Star Wars Nerds sind noch härter von der Reboot-Inflation betroffen. Da wurde ja alles außerhalb der Filme zum Non-Canon erklärt. Ein schadenfrohes Grinsen konnte ich mir da nicht verkneifen. Eine Frage bleibt aber: wenn der allwissende Star Trek Nerd auf den allwissenden Star Wars Nerd trifft, ist das dann die unaufhaltbare Kraft, die auf ein unbewegliches Objekt stößt? Na, ich bin mir sicher, das klären die auf der nächsten Convention bei einem Bat'leth-Lichtschwert-Duell. Das ist sicher mindestens so beeindruckend, wie eine Schlägerei zwischen Hells Angels und Bandidos. Mindestens.

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